Ankunft in Esticha
[Ajemias]
Estichà präsentiert sich mit einem ansprechenden Charme. Es ist ein milder, freundlicher Tag, der zu einer Erkundungstour durch die Stadt einlädt.
Durch ein Gewirr enger Gassen schlendert Ajemias, vorbei an überfüllten Tavernen. Mitreißend flotte, teilweise unbekannte Melodien und fröhliches Stimmengewirr dringen an sein Ohr.
Zuweilen lässt sich ein übermütiges Gegröle vernehmen. Das tiefe Vibrieren durstiger Kehlen entlockt ihm ein Lächeln. Doch der Gedanke einzukehren liegt ihm fern. Voller Neugier möchte er die Stimmung dieser fremden Stadt in sich aufsaugen.
Mit einem Mal öffnet sich ein weiter Platz. Ihm bietet sich ein atemberaubender Blick: Vor der Kulisse mittelalterlicher Häuser, mit verspielten Giebeln und Balkonen, Fensterreihen, die nach oben hin immer gedrungener werden, herrscht ein geschäftiges Treiben.
Zwischen aufgespannten Leinen mit wehenden, bunten Stoffen, vorbei an dicht gedrängten Ständen, in den Auslagen duftende Knabbereien, allerlei Früchte und Gemüse oder kunstfertige Handwerksarbeiten, wimmelt es von neugierigen Marktbesuchern.
Die kleinen Passagen wirken in dem Gedränge wie ineinander verschlungene, zuckende Schlangenleiber. Eifrige Händler übertönen sich gegenseitig, um ihre Ware feilzubieten.
Ajemias spürt das Pulsieren, das den Markt beherrscht. Es fährt in seine Glieder und breitet sich in seinen Venen aus. Wie von einem Rausch überkommen, taucht er in die Menge ein, lässt sich von ihr treiben, bis sie ihn fortzuspülen scheint.
Dann und wann verharrt er. Diese Augenblicke nutzen fleißige Verkäufer, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. „Versucht diese edlen Gewürze. Sie verfeinern Euer Mahl zu einem exotischen Gericht!“, flüstert jemand von der Seite. Ein anderes Mal brüllt es unmittelbar neben ihm: „Haxen! Deftige Haxen!“ In einem mäßigen Ton fährt diese Stimme fort: „So frisch, da hört man noch das Gequieke glücklicher Ferkel!“
Ajemias legt den Kopf etwas schief, und blickt diesen Händler mit gespieltem Zweifel an, fast provozierend. Ein breites Gesicht, das von tiefen Poren und Narben durchzogen scheint, grinst ihn „gewinnend“ an und entblößt zwei Reihen brauner Zähne, unterbrochen von schwarzen Stumpen oder Lücken.
Aus dem Augenwinkel nimmt Ajemias eine Gestalt wahr, die mit einem viel zu weiten wehendem Hemd an ihm vorbei huscht. Er erstarrt in seiner Haltung. Das linke Auge weitet sich zu einem dumpfen Glotzen. Beinahe erweckt es den Eindruck, als wollte es aus seiner Behausung herausfallen und zwischen eiligen Schritten hinfort rollen.
Irgendwie kam ihm die Frau seltsam vertraut vor. War es die Art, wie sie ihre langen Haare aufsteckte? Waren es die fließenden Bewegungen, mit denen sie an ihm vorbei zu gleiten schien? Was vermochte er in dem kurzen Moment von ihrem Gesicht erkannt haben? Und doch stieg es ihm zu Bewusstsein, dass er ihre sanften, wunderschönen Züge kannte. Er war sich sicher, dass ihre Augen die Farbe von tief braunen Bernstein hatten, die eine Wärme ausstrahlten, in der man sich verlieren kann. Dazu hätte er sie jedoch direkt anblicken müssen. Wie konnte er sich dessen so gewiss sein?
Noch bevor sein träger Verstand dem Rätsel auch nur im Ansatz auf die Spur kam, durchfährt ihn eine Woge der Erkenntnis, die in reiner Intuition wurzelt. In seinem tiefsten Inneren weitet sie sich aus, bis ihn eine wohlige Wärme ausfüllt. „MIRANELLA!“
Ein Kribbeln unbändiger Freude fegt über seine Arme, bis sämtliche Härchen, vor Erwartung zitternd, aufrecht stehen. Es fröstelt ihn.
Mit einer Gewandtheit, die eine vom Alter gezeichnete Chira mit einem müden, beinahe mitleidigen Kopfschütteln quittiert, dreht er sich auf seinen Absätzen um, gerät ins Straucheln und spurtet stolpernd hinter dieser Frau her.
Ajemias zwängt sich durch die Menge, die ihm zu allem Überfluss entgegen strömt.
Er erntet irritierte Blicke. Manch einer lässt eine bissige Bemerkung fallen. Doch die Wut der anderen schüttelt Ajemias mit einer hastig formulierten Entschuldigung oder einem beschwichtigenden Achselzucken ab.
Er strahlt vor Glück und Vorfreude.
Immer näher pirscht er sich an Miranella heran. Sein Denken hat die Lähmung überwunden. Fieberhaft malt er sich in seiner Phantasie aus, wie er ihr gegenüber treten soll. „Rufe ich ihr schon von fern zu?“ „Fliehe ich ihr entgegen und werfe mich ihr gleich in die Arme?“ „Ergreife ich sie einfach von hinten bei der Hand?“ „Oder lege ich ihr einen eiskalten Fisch hinein?“
Seine Ideen überschlugen sich.
Als er beinahe ihre Höhe erreicht, fällt er eine Entscheidung: Mühsam seinen bebenden Atem unterdrückend, prescht er vor und piekst ihr von beiden Seiten mit ausgestreckten Zeigefingern in die Taille. Wohlweislich ihre Reaktion vorausahnend, aus dem üppigen Schatz seiner in vergleichbaren Situationen gesammelten Erfahrungen zehrend, duckt er sich.
Ein hämisches Grinsen breitet sich von einem Ohr zum anderen aus.
[Miranella]
Die junge Frau kam gerade von dem Obststand zurück, an dem sie praktisch täglich ihre Mittagmahlzeit kaufte. Sie geht mit ihrer prallen Obsttüte auf den Brunnen zu, um dort auf seinem Rand sich an ihrem Essen zu laben, als sie der überaus gemeingefährliche Angriff ereilte. Gerade als sie ihre Tüte öffnet, um sich schon die erste Frucht auszusuchen in der sich ihre Zähne versenken würden, bekommt sie in die zwei einzigen Punkte an ihrem Körper, an denen sie kitzelig ist, zwei spitze Finger gestochen.
Mit einem lauten, hellen und völlig überraschten kurzen Schrei zuckt sie mit dem Armen zusammen und leider etwas nach oben. Der Inhalt der Tüte wird im hohen Bogen durch die Luft gewirbelt und landet auf allen möglichen und unmöglichen Orten. Miranella wirbelt völlig überfahren herum. "Ich habe Dir schon tausend mal gesagt, Du..." fährt es aus ihr mit einem Reflex heraus, als sie überhaupt gewahr wird, wer der einzige sein konnte, der es je geschafft hat sie zu kitzeln. Völlig fassungslos schaut sie ihn für einen Moment ungläubig an, als sie ihm plötzlich um den Hals fällt und ihn so fest umarmt, wie sie nur kann.
"Arjemias!" Sie versteckt ihr Gesicht in seiner Halsbeuge, schnell noch die gerade feucht werdenden Wimpern versteckend. "Ajemias..." kommt es gedämpft aus der Richtung seines Halses. Zu mehr scheint die junge Goldschmiedegesellin im Augenblick nicht in der Lage zu sein. Das vergeudete Mittagessen schein völlig vergessen.
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- Ankunft in Esticha - Ajemias und Miranella, 15.09.2005, 18:32
- Re: Ankunft in Esticha - Ajemias, 15.09.2005, 19:46
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