Estichà Unterer Markt

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Das Ende der Mär (Untermarkt)

Fabula Docet @, Tuesday, 12. May 2009, 18:01 @ Fabula Docet

Atemlos schauen die Zuhörer die Geschichtenerzählerin an. Warum macht sie nur so lange Pausen, gerade jetzt, wo es spannend wird? Aber da, da! Sie räuspert sich, sie spricht weiter!

"Nun, am vierten Tage ging er nach dem Tempel, vorgeblich um für seine bevorstehende Vermählung Jhoulanas Segen zu erbitten. Doch in Wahrheit waren es Verzweiflung und Sehnsucht, die ihn in den Tempel trieben. Dort wartete seine Liebste bereits auf ihn. Auch sie war voll Verzweiflung, denn sie hatte selbst von der Familienfehde erfahren. Da lagen sie sich in den Armen und beweinte ihr Schicksal, denn keiner von beiden wollte den anderen je wieder loslassen müssen. Nun war es aber so, dass ein Diener Jhoulanas ihr Wehklagen vernahm und von Mitleid erfüllt wurde. Und er trat an sie heran und bot ihnen seine Hilfe an, denn die Sterblichen sollen nicht scheiden, was die Götter zusammengefügt haben. Da wurden sie beide von Hoffnung erfasst und waren voller Eifer und Tatendrang und willigten ein, sich auf der Stelle trauen zu lassen. Vor den Augen der Liebesgöttin verbanden Alanor und Jhamina sich in einem heiligen Bund. Sie waren aber gewiss, mit welch großem Zorn ihre Sippen diese Kunde aufnehmen würden, und dass ihnen keine andere Wahl blieb als die Flucht. So vereinbarten sie, sich beim Erlöschen des Delvanrings am Hafen einzufinden und mit dem nächstbesten Schiff auf dem großen Strom davon zu segeln."

Ein Raunen geht durch die Zuhörerschaft. Die Alte nickt.

"Oh ja. So geschah es auch. In der Abenddämmerung trafen die Liebenden aufeinander, doch sie waren nicht alleine. Ihre Familien hatten wohl gespürt, dass etwas Großes im Gange war, und hatten ihnen einige Verwandte nachgesandt. Da trafen sie also alle zusammen und forderten eine Rechtfertigung von dem fliehenden Liebespaar. So trat die geheime Verbindung zu Tage, und die beiden erbaten Verständnis für ihre Lage. Doch ihre Familien hatten Jhoulanas schönstes Antlitz nie geschaut und waren daher außer Stande, Verständnis aufzubringen. Furchtbarer Zorn überkam sie. Alanors Schwestern, die sich von ihm belogen und hintergangen fühlten, gerieten außer sich vor Wut und griffen ihn an. Das aber konnte Jhamina nicht zulassen und so versuchte sie mit aller Kraft, ihren Geliebten zu beschützen. Bald waren alle Anwesenden in einen wilden Streit verwickelt. Endrakha erfüllte die Geister der Kämpfenden, bis eisige Stille dem Zank ein jähes Ende setzte.
Da sank Alanor wehklagend über dem sterbenden Leib seiner Geliebten zusammen, die ihr Leben zu seinem Schutz geopfert hatte. Und als sie einen letzten Kuss tauschten, da begriffen und erkannten ihre Verwandten erst die wahre Natur dieser Liebe, doch es war bereits zu spät. Als Jhamina ihren letzten Atemzug getan hatte, da erhob sich Alanor, der sie mehr geliebt hatte als alles andere und nun nichts mehr besaß, das noch von Bedeutung war. Er sah seinen Schwestern ins Gesicht, doch ihr Bedauern bewegte ihn nicht. Er ging nach Hause und sprach auch in den kommenden Tagen kein Wort mehr. Dann ging er zu dem frischen Grab, das man seiner Geliebten bereitet hatte, und pflanzte darauf eine Blume, eben so selten und kostbar wie seine Liebe zu Jhamina. Seit diesem Tag gilt die blaue Lantis als Symbol tiefer, ewiger Liebe. Alanor aber verließ noch am selben Tag die Stadt und ward nie wieder gesehen. Manche sagen, er sei ein stummer Wanderpriester geworden. Andere wiederum behaupten, er sei kurz nach diesem Tag an gebrochenem Herzen gestorben. Was wirklich geschah, wissen nur die Götter.

Vom traurigen Schicksal Alanors und Jhaminas bleibt für die Sterblichen nur ein kurzen Blick auf das wunderbarste, das Jhoulana zu erschaffen vermag, und das Wissen, dass große Liebe und große Tragik nie weit von einander entfernt liegen.“

Die Alte wartet ab, vielleicht sieht sie in die traurigen Gesichter ihrer Zuhörer, man kann es nicht erkennen. Vielleicht lässt sie auch nur ihre Geschichte auf das Publikum wirken...

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