Estichà Unterer Markt

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Eine Mär von der Liebe (Untermarkt)

Fabula Docet @, Tuesday, 12. May 2009, 17:57

Vor ein paar Tagen hat man sie schon einmal gesehen, die Alte mit dem Stock. Sie wackelt wieder über den Marktplatz und setzt sich abseits hin. Die Kinder haben sie gleich entdeckt, diesmal sind es schon viel mehr als noch beim letzten Mal. Es hat sich herumgesprochen. Auch ein paar Erwachsene bleiben stehen, als die alte Frau ihre Stimme erhebt.

"Ich will euch eine Geschichte erzählen, wie sie schon seit Generationen in der Röhre erzählt wird. Aber seid gewarnt: Dies ist keine Liebesgeschichte- aber es ist eine Geschichte über die Liebe. Das wahre Wesen Jhoulanas offenbart sich dem, der sie hört, die Geschichte von Alanor und Jhamina. Sie beginnt vor einiger Zeit in der Hauptstadt der Allianz. Diese Stadt, größer als alles, was die Röhre je zuvor gesehen hat, war damals wie heute eine Bühne der Intrigen und Machtpolitik. Ein merkwürdiger Ort für Jhoulana, ihr Gesicht in seiner reinsten Form zu zeigen. Und doch nahm genau dort eine sagenhafte Liebschaft ihren Anfang, denn einst lebte dort ein junger Chirà mit Namen Alanor Callaratà Chraniac. Weit über sein Stadtviertel hinaus war er bekannt, denn er war nicht nur der einzige Sohn eines großen Wurfes, sondern auch mit den Stürmen zu einem sehr gutaussehenden jungen Mann herangewachsen. Vielgerühmt war sein goldenes Fell, das im Licht des Delvanrings wie ein kostbares Juwel glänzte. So manche Chiràdame wurde von Jhoulana geschlagen, wenn sie ihn erblickte, doch er selbst war derartigen Affekten stets entkommen."

Die Alte räuspert sich. Die Kinder ahnen es schon- jetzt nimmt die Geschichte Fahrt auf.

"Nun trug es sich zu, dass kurz vor Alanors zwanzigstem Sturm das größte Neujahrsfest in den Gassen gefeiert wurde, das alles übertraf, was die Allianz bis dahin gekannt hatte. Gemeinsam mit seinen Schwestern nahm auch der junge Chirà teil. Ausgelassen gaben sie sich den Feierlichkeiten hin, nicht ahnend, dass die Götter ihrem Treiben zusahen und in nicht ferner Zukunft selbst eingreifen würden, um das Schicksal einiger Sterblicher für immer zu verändern. So geschah es nämlich, dass der junge Alanor seine Verwandten aus den Augen verlor und sich alleine durch die Straßen treiben ließ. Und die feiernde Menge trug ihn geradewegs in die Arme Jhoulanas, die ihm in all ihrer Pracht begegnete, als er jene schicksalhafte Frau erblickte. Jhamina Aljenor Chraniac war ihr Name, und das Leuchten ihrer grünen Augen war das wundervollste, das Alanor je gesehen hatte. Nur einen Augenblick lang kreuzten sich ihre Wege, bevor sie im Trubel der Menge davon gerissen wurden, doch um ihre Herzen war es geschehen. Da war der junge Chirà sehr unglücklich, denn nicht eine Nacht wollte er mehr ohne sie schlafen müssen. So blieb er Vesanas Reich fern, bis ihm keine Speise mehr schmecken wollte und er nur noch blass und müde erschien. Seiner Familie aber lag er sehr am Herzen, daher waren sie voller Sorge und fürchteten, eine schlimme Krankheit habe ihn geschlagen. Um sein Leben zu retten, schickten sie ihn zum Mehdoratempel aus, auf dass die Göttin ihn heilen möge. Alanor selbst wusste, dass sein Zustand nichts Gutes war, doch wusste er auch, dass ihm eine andere Göttin würde helfen müssen. Er lenkte seine Schritte in den Tempel Jhoulanas, um dort für seine Erlösung zu beten. Gar erstaunt war er, als er in der Gebetshalle das schwarzgraue Fell seiner Angebeteten erblickte. Und sie trat an ihn heran und sprach:
„Deinen Namen kenne ich nicht, und doch liebe ich dich mehr als mein eigenes Leben. Jeden Tag habe ich deiner hier geharrt, denn ich war gewiss, dass Jhoulana uns in ihrer Güte zusammenführen würde.“
Da jauchzte sein Herz vor Freude, und er antwortete:
„Ich kam in dieses Haus, um für Erlösung zu beten, denn mein Herz war krank vor Sehnsucht nach dir. Nun aber heilt dein Anblick alle Wunden der Einsamkeit, und nie wieder will ich davon erlöst werden.“
Und da lachte Jhamina und umarmte ihn und übersäte ihn mit Küssen. Eine Ewigkeit später erst, so erschien es ihnen, lösten sie sich von einander und verließen den Tempel mit dem Versprechen, sich nach vier Nächten eben dort wieder zu treffen. Alanors Familie war hoch erfreut über seinen Stimmungswechsel, diese offenbar schnelle Genesung, denn nun stand ihrem Vorhaben nichts mehr im Wege, ihren einzigen Sohn gewinnbringend zu verheiraten. Davon erfuhr Alanor freilich mit Freuden und er schlug alsbald jene Sippe vor, der seine Geliebte angehörte. Nun wollte es aber das Schicksal, dass einige Mitglieder seiner Familie sich mit einigen Sippenschwestern Jhaminas aufs heftigste zerstritten hatten und daher seinem Vorschlag gänzlich abgeneigt waren. Stattdessen wurde eine befreundete Sippe ausgewählt, von der man sich im Falle einer Verbindung viel Geld und Einfluss versprach. Das aber brach Alanors Herz, denn er wollte weder seine Familie und die Traditionen verraten, noch wollte er je wieder eine andere Frau ansehen als Jhamina."

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