Eine Geschichte für die Stadtwache
Doch mit ihrer Verehrung durch den Pöbel, nahmen auch die Bemühungen der Wache zu, sie zu fassen. Nach fünf Stürmen und einem unvorstellbar großen Vermögen, das sie erbeutete, faßte man sie. Der Zufall spielte ihr einen Streich. Man erkannte sie auf der Straße und setzte sie als bald fest. Stimmen gibt es, die munkeln, sie sei ihres Ruhms überdrüssig und ihrer Beutezüge satt geworden. Sie sei müde geworden und wollte nicht länger die Gejagte sein.
Man führte sie zum Strick. Mrishca lehrte sie Wachsamkeit, also ließ man sie nicht aus den Augen, ließ sie keinen Moment allein. Sie schlief und aß bewacht im tiefsten Kerkerloch und weder dort, noch am Strick, löste man je ihre Fesseln.
Die Leute waren entsetzt. Viele hundert kamen zu ihrer Hinrichtung, den jeder ahnte ihre Flucht vorher. Niemandem war es verständlich, als man sie zum Galgen brachte, wähnte man sie längst in Sicherheit. Ein Raunen ging durch die Menge, als man ihr die Schlinge um den Hals legte. Selbst als sie zugezogen wurde, hielten viele daran fest, sie würde noch entkommen. Einige gar waren sicher, ihre Illusion längst durchschaut zu haben: als man ihr den Sack über den Kopf zog, habe sie auf wundersame Weise den Platz mit einem echten Verbrecher getauscht, einem Mörder, einem Ketzer, einem der den Tod wirklich verdiene.“, wieder hält er kurz inne, sein Lächeln scheint nun bitter und sein Blick ist gesenkt.
„Mrishcas Mythos sollte an diesem Tag enden, so hatte man es beschlossen. Der Henker schlug den Hebel um, die Klappe fiel und Mrishcas Strick knallte, als er sich unter ihrem Gewicht spannte. Mrishca war tot. Die größte Diebin aller Zeiten, schnöde hingerichtet. Keine Abschiedsworte, keine letzte große Tat – so glaubte man an diesem gewöhnlichen Mittag.“, Barwaan nickt den Teil der Geschichte ab, lächelt dann aufmunternd zu seinem Zuhörer auf, „Mein Vater, er war dort, auch er reiste an um die Hinrichtung, an die er nicht glaubte, mit eigenen Augen zu sehen. Er sagte einmal, sein Herz wäre gebrochen, als er Mrishca leblos dort baumeln sah, doch seine Trauer war nur kurz.
Er saß mit einem Freund in einer Taverne und betrank den Tod der Chirà, als eine aufgeregte Frau hinein gerannt kam, ein Mann begleitet sie und rief, Es ist wahr, wirklich! und rannte schon weiter um die Nachricht zu verbreiten. Was gute Frau, was ist wahr?, hatte mein Vater gefragt und die Frau erklärte es ihnen. Mrishcas Henker, der Mann, dem sie nur am Galgen begegnete, jener, der sich ihre Stiefel verdiente, fand in eben diesen, eine Brosche. Ein kostbares Kleinod, das einst seiner Mutter gehörte habe. Er trug es stets um die Brust, als Andenken und Glücksbringer.
Mrishca hatte ihre letzte große Tat begangen. Eine Tat die sie unsterblich machte. Es war eine große Tat, auch wenn es nur eine kleine Brosche war. Mrishca hatte ihnen ihre letzte Vorstellung gegeben und die Brosche des Henkers, die gab sie ihm zurück. Dies war ihre einzige Beute, die man jemals wiederfand. Alles andere ist seit jeher verschwunden.
Viele Legenden ranken darum. Einige behaupten, sie habe es ihrer Göttin überlassen und unter einem ihrer Tempel, gar dem Mondlichttempel, sei der Schatz verborgen, andere wieder wollen wissen, sie habe alles verpraßt oder den Armen gegeben...“, Barwaan lächelt milde und sieht wieder auf, ob sein Zuhörer noch geblieben ist, ob vielleicht andere hinzugekommen sind.
„Dies ist die Geschichte der Mrishca. Der größten Diebin aller Zeiten. Wahrhaft durch Vesana gesegnet war sie. Ich kann nicht sagen, ob es sich genauso zutrug. Ich bin nicht sicher, ob sie das alles selbst war und tat. Doch in meiner Kindheit erzählte man ihre Geschichte so. Ich habe sie lange nicht mehr erzählt, ich hoffe, mein Sohn, du verzeihst einem alten Mann, wenn er so über Diebe spricht.“, er lächelt freundlich und zuckt dann mit den Schultern und versucht sich mühsam zu erheben.
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- Eine Geschichte für die Stadtwache - Barwaan, 31.12.2008, 11:29
- Eine Geschichte für die Stadtwache - Barwaan, 31.12.2008, 11:29
- ein weiterer Zuhörer - RupertEvari, 31.12.2008, 13:09