Estichà Unterer Markt

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Die Hauptfront des Sturmes

CHR-Verwaltung @, Wednesday, 10. April 2002, 22:27


Bis zur einsetzenden Nacht ist das Sturmestoben stärker geworden. Blitze zerreißen unentwegt die Finsternis, und grollender Donner gibt eine Ahnung vom kommenden Unheil. Der Wind fegt durch die Strassen, reißt kleine Sträucher und Blätter mit sich, schlägt Fässer um und lässt lose Hölzer gegen die Hauswände schlagen. Er heult und brüllt wie ein verletztes Tier und ebenso rastlos jagt er durch die Gassen. In manchen Wolkenfetzen, die sich aus der grauen Masse reißen, zeigen sich gewaltige Wirbel, Blitze zeichnen irre Grimassen in den aufgewühlten Elementen, die sich nun zum letzten Schlag verbündet zu haben scheinen. Vom Westen rollt ein tiefes Dröhnen heran, der Metchà bebt, Wellen brechen übereinander ein, die in der beklemmenden Finsternis wie gigantische Götterarme anmuten. Die Schiffe werfen sich in einem geisterhaften Tanz wie von Schmerzen gepeinigt hin und her, ihre Rümpfe werden gegen den Pier geworfen, sie krachen und stöhnen, während die Gischt gegen ihre Bäuche schlägt und Wassermassen aufs Deck schwappen. Am Horizont scheint sich zwischen den aufgewühlten Wogen, Wolkenmassen und zuckenden Blitzen, verzerrt und unwirklich ein Gigant aus den Fluten zu erheben. Sein Haupt zerrissen vom glühenden Zorn des Orkans und von dunkler Kälte begleitet nähert er sich Estichà. Das Knarren der Schiffe im Hafen scheint sich in ein Schreien zu verwandeln, voller Todesangst zerren sie an ihren Fesseln, als der Wassergigant mit zerschmetternder Hand nach der Stadt greift als wäre er Vanor selbst.

Lautes Krachen und Splittern erfüllt den Hafen, als die Flutwelle die Schiffe überrollt. Die Enohan Cailynn, das prunkvolle Diplomatenschiff der Allianz wird gegen den Pier geschleudert, Planken lösen sich und werden vom Wind davongetragen, der Mast biegt sich, ächzt wie ein alter Baum und Teile der Takelage werden fortgerissen.
Die Jonja Jerikà trägt einen ebenso verzweifelten Kampf mit den Wogen aus, wie ein Holzbrett wird sie wahllos von den Wellen herumgeschleudert, ist hilfloses Opfer der Elemente. Die schattenhaften Gestalten einiger Matrosen sind nun an Deck zu erkennen, im grellen Licht der Blitze erscheinen ihre Gesichter panisch und angstverzerrt. Ihre Schreie werden vom Getöse verschluckt. Einige werden mit den immer aufs neue hereinbrechenden Wellen von Bord gespült.
Im Kriegshafen wird der Mast der Sijavas na Estichà von einem grellen Blitz gespalten, gefolgt von einer vernichtenden Flutwelle. Die Gischt schlägt auf das Deck, währen der Hauptmast krachend zusammenbricht, einen weiteren Mast mit sich reißt und in die Kajüte einschlägt.
Die Schiffe der Allianz tanzen in den dunklen Wogen und ihre verlassenen Decks wirken geisterhaft vor der Kulisse des brüllenden Meeres. Ein weiterer Gigant eilt bereits vernichtend auf Estichà zu, während die Wassermassen des Ersten noch über die Fronten der Hafengebäude hereinbrechen. Glas splittert, Türen werden eingedrückt und Keller überflutet. Die Abwasser aus der Kanalisation werden nach oben gedrückt, eine braune, verdreckte Suppe schwappt durch die Gassen.
Die zweite Flutwelle erfasst die Jonja Jerikà und schleudert sie wie einen Stein gegen das Pier. Mit Getöse berstet der Rumpf des Schiffes, der Mast bricht ein und die Trümmer werden von den Wogen gegen die Hafenmauer geschlagen, während die Matrosen sich vergeblich versuchen aus dem Wasser zu retten. Ihre Knochen werden zertrümmert wie zuvor der Rumpf des Einmasters und sie werden von den Wogen verschluckt.

Eine Flutwelle folgt nun auf die Nächste und mit dem Wasser hat auch der Wind weiter an Stärke gewonnen. Er zerreißt die Giebel zahlloser Häuser und hebt den Dachstuhl des Hauses Vochà Bicclas Nr. 3 ab, als wäre er nur aufgesetzt. Stühle, Schränke, Holzbalken und Steine stürzen auf die Strasse und den Untermarkt herab, begraben eine unvorsichtige junge Chirà, die scheinbar vom Sturm überrascht wurde und nicht rechtzeitig Heim eilen konnte. Das Bett von Hauptmann Ronin, dem Bewohner jenes Dachbodens wird scheinbar von Saniskas persönlich ergriffen, über die Stadt gehoben und knallt nach einem wilden Flug ins Tor der Stellmacherei. Die Echsen geraten in Panik, der Wind wirbelt das Gersa in den Stallungen auf, lässt einige Körbe tanzen und Werkzeuge fliegen bedrohlich durch den Raum. Eines der Tiere wird von einer Mistgabel im Rücken getroffen und seine Schmerzesschreie klingen verzerrt im Windesheulen.
Vom Hause Velachà Mejdras Nr. 4 ragen nur noch die Mauerreste und Eckbalken des zweiten Obergeschosses abgerissen und mahnend in den tobenden Himmel. Voller Gnadenlosigkeit hat der Sturm dort zugeschlagen, das alte Gebäude bebt und ächzt unter der drückenden Gewalt des Windes, ein Teil der Balkenkonstruktion gibt nach und die oberen beiden Stockwerke brechen ein. Nur die hintere Mauerwand trotz noch unbeugsam dem Sturm.
Auch das Dachgeschoss der Herberge von Sunera Solei wird fortgerissen und eine alte fast ganz aus Holz gebauten Villa in der Oberstadt bricht vom Sturm eingedrückt in sich zusammen. Das Unwetter verteilt die Trümmer in ganz Estichà, die Unterstadt versinkt im Abwasser, Unrat treibt zwischen den übelriechenden Exkrementen der übergelaufenen Latrinen, während der Untermarkt einem Schlachtfeld gleicht, übersäht mit Schutt und Müll, genau wie alle Strassen der Stadt. Die Tempelglocke läutet unentwegt, doch nicht die Priester bringen das schweren Geläut zum klingen, sondern Sanikas selbst versetzt es in Schwingung. Mit dem Windesheulen, ächzenden Dächern und krachenden Hölzern spielen die Glocken eine unheimliche Melodie des Todes.
Auf einmal verändert der Sturm seinen Charakter. Begleitet von einem dumpfen Heulen, dem Ton einer leeren Flasche gleichend, über dessen Rand man hinwegbläst, verwandelt sich das Blasen in einen Sog, der mit ungeheurer Kraft und Kälte mit gewaltigen Wassermassen nach Osten führt. Bäume im nahen Urwald knicken, Fensterläden werden aufgerissen und verschwinden im Dunkeln der angebrochenen Nacht. Dutzende, dann Hunderte von Dachschindeln verlassen ihren Platz, werden weggeschleudert und zerschellen an den Fronten der höheren Häuser, werfen dort Scheiben ein oder zertrümmern dünne Fensterläden. Schmiedeeiserne Schilder lösen sich von ihren in die Straßen ragenden Gestellen und schleifen über den von einem dicken Wasserfilm bedeckten Boden, spitze Gegenstände und Splitter rasen mit hellem Pfeifen wie Speere durch die Luft und dringen in Türen und Fensterläden ein. Egal, von welcher Religion, von welcher Überzeugung, von welcher Rasse ein Bewohner der Stadt ist, in diesem Augenblick ruht er auf seinen Knien und betet mit voller Inbrunst zu seinem Gott oder seiner Göttin zu allem, was ihm heilig ist.

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