Eine (wenig?) überraschende Kanditatur
Kurz vor Ablauf der Frist, die von Ardon Alderath vor acht Tagen bekanntgegeben wurde, erscheint das 'rostige Eisenfell', wie Meisterin Lasjema mittlerweile wegen ihrer Fellfarbe und Berufung von so manchem Missgönner spöttisch genannt wird, am unteren Marktplatz.
Der mittägliche Regenguss hat noch nicht begonnen und so ist das Treiben am Markt zu dieser Stunde in vollem Gange. Einige Kanditaten halten ihre täglichen - seit einigen Tagen monoton vor sich hinverkündenten - Monologe. Yuna begleitet von ihren beiden Tagelöhnern und Krauto schiebt sich mit Balken und Brettern unter dem Arm durch die Menge. Unter einigem Gehämmer werden vier dicke Balken und ein Starkbrett zu einem schulterhohen Podest zusammengenagelt. Yuna werkt tatkräftig mit und wird von ihren Arbeitern unterstützt. Nach dem der letzte Schlag vollbracht ist, besteigt die Chira die Plattform:
"FREUNDE, ESTICHÀNER, MITBÜRGER", versucht die Gildenvorsitzende der Gilde vom Metall zu Esticha die Aufmerksamkeit der Passanten zu erlangen. "Mein Name ist Yuna. Ich bin eine Chira vom Clan der Lasjema aus dem Hause Ecibarra. Und ich gebe nach langer und reiflicher Überlegung hier und heute meine Kanditatur zur Rats- und Bürgermeisterwahl der Stadtmark Esticha bekannt. Für alljene unter Euch die mich nicht kennen - ich bin die hiesige Eisenkocherin der Stadt, Gildenvorsitzende der Gilde vom Metall und Initiatorin der Vereinigung der Gilden. Geboren wurde ich in einem Chirà-Dorf Namens "Metchana rijè cutave" (Meer aus Kirschen) in den eluirschen Hochebenen, tief im Herzen des Dschungels. Mein Leben verbrachte ich zum größten Teil in Vorovis, als sklavische Arbeiterin eines Eisenschmelzmeisters, von dem ich das Handwerk gelernt habe. Nach Jahren der Qualen ist es mir nach dessen Tod gelungen, ein neues Leben in dieser Stadt zu beginnen. Lange hat es nicht gedauert und nun ist Esticha zu dem geworden, was ich bisher nicht kannte. Eine Heimat."
"Ich sage gleich vorweg. Leicht ist es mir nicht gefallen, den Schritt zu unternehmen und für die Wahlen zu kanditieren. Politik ist oftmals ein schmutziges Geschäft und die Zeit für meine Eisenschmelzarbeiten, die ich für die Stadt zu tätigen habe - gerade in diesen schweren eisenlosen Zeiten - wird nochmehr beschnitten, falls es mir gelingen sollte, in den Rat gewählt zu werden. Doch sehe ich mich dazu gezwungen, aus Ermangelung ernsthafter Kanditaten selber dem Rat zur Verfügung zu stehen. Es ist meine Sache nicht blumenstreuend, fässerweise, kostenlosen Wein auszuschenken, wie es von so manchen gehandhabt wird, um sich bei Euch einzuschmeicheln. Für solche Anbiedereien fehlt mir wahrlich die Zeit. Jedoch die Kanditatur von Meister Charmain machte mir Mut. Er geht den richtigen Weg, er ist ein weises und erfolgreiches Mitglied unserer Gesellschaft. Seine Ansätze, die Wirtschaft der Stadt wieder anzukurbeln sind durchaus diskutabel. Doch leider ist er kein Experte, leider werden seine Ideen an der Realisierung scheitern, da er zu wenig über die wirtschaftlichen Zusammenhänge in der Stadt im Allgemeinen und die Zusammenhänge des Metallkreislaufes im Speziellen versteht. Pet ist ein Mann des Holzes. Einer der Besten wie ich meine - doch wird das der Stadt in dieser metall-wirtschaftlichen Hinsicht wenig nützen."
"Ich will Euch meinen Plan verkünden, wie ich die wirtschaftliche Situation verbessern möchte. Die Vorschläge meiner Vorredner waren allesamt waaaaage und klangen nach nixigen Wahlversprechen die schnell dahingesagt sind. Einzig Meister Charmain wurde konkret. Pet's Vorschlag, einen bewachten Transporter in die Allianz zu entsenden, und Erz zu kaufen ist zwar gut, aber nicht ausgereift. Es wird nichts bringen, auf das geradewohl hin die Rachaga auf die Reise zu schicken. Denn gänzlich alle Minen der Allianz sind im direkten Besitz der mächtigen Clans. Einige schon hunderte Jahre lang. Der Erzhandel wird eifersüchtig beobachtet und gehütet wie ein Chrenorfalke in Gefangenschaft. Schliesslich ist Metall mit wirtschaftlicher und militärischer Stärke eng verbunden. Man muss mit viel Geschick - und Wissen um die Materie - herangehen damit einem Erfolg beschieden sein wird. Aus diesem Grunde stehe ich mit der Botschafterin der Allianz seit einiger Zeit in engem Kontakt."
"Um nun - im Gegensatz zu meinen Vorrednern - einmal konkret zu werden, werde ich Euch in das Projekt Mondstahl 'yuna acsha' einweihen, das die Gilde vom Metall durchführt. Es wird dabei ein kompletter Metallkreislauf in Elurien etabliert. Vom Erz bis zum fertigen Werkzeug bzw. Waffe. Denn Elurien ist in dieser Beziehung zur Zeit abhängig von anderen Reichen, und das hemmt die gesammte Wirtschaft, wie wir in diesen Stunden alle leidvoll zu schmecken haben. Ausserdem stellt der Metallmangel ein enormes Risiko für die Sicherheit dieses so jungen Staates dar - ist doch unsere Armee eine der schlechtgerüstetsten auf ganz Mhradoshan."
"Ich denke einmal zu aller erst sollte ich über die Grösse des Projektes sprechen. Es hat keinen Sinn, wenn wir hier in Esticha ein zwei Schmieden hinstellen und glauben damit können wir Esticha versorgen. Es fehlt an qualifizierten Meistern, an Öfen und Erz. Das alles wurde mir von der Botschafterin zugesichert. Ich werde nach der Wahl, in die Allianz reisen und meine Pläne in die Tat umsetzen. Keine schwindligen Abordnungen, keine planlos in die Landschaft entsendeten Handelsschiffe. Nein.... Taten. Um jedoch diese Taten erfolgreich vollbringen zu können brauche ich Eure Hilfe, brauche ich Eure Stimme. Denn ein inkompetenter Ratshaufen würde diesen Plan scheitern lassen, im Rat könnte ich diese ehrgeizigen Projekte für die Stadt jedoch mit aller Energie realisieren. Ich denke ich wäre eine Bereicherung für den Rat.", meint Yuna betont selbstbewusst.
"Um in der Regierung das fehlende Verständnis für das Handwerk und die Wirtschaft zu verbessern, werde ich mich für die Schaffung eines Wirtschaftsressors starkmachen, in das eine ausgewählte Abordnung der Gilden der Stadt entsendet wird, die die Regierung mit ihrem Wissen unterstützen soll. Es ist meiner Meinung nach sinnvoll, einen Minister für Wirtschaft als Leiter dieses Ressorts gegebenenfalls von den Gilden zu entsenden, der die Zusammenhänge versteht und entsprechend weitreichende Taten setzen kann."
Die Chira macht eine kurze Redepause.
"Einige Kanditaten sprechen von ihren Ambitionen, die Bürgerbriefe zu verbilligen. Ich will Euch sagen was das ist: 'Metchàschaum'... angespülter 'Metchàschaum'. gerade jetzt macht es wenig Sinn, die einzige Einnahmequelle der Stadt zu beschneiden, wo das Gold für wichtige Projekte und Ausgaben notwendig ist. Wir alle haben unseren Beitrag zu leisten, keiner kann sich davor drücken, will er nicht hochkant aus der Stadt gejagt werden. Die Bürgerbriefe sind zur Zeit fair... einer der wenigen Punkte der Regierung, mit der ich restlos einverstanden bin."
"Doch dies ist nicht alles. Nicht alleine für die Wirtschaft habe ich Pläne, obgleich es meiner Meinung nach die wichtigste Thematik darstellt, um die Lebensqualität und den Wohlstand der Stadtmark und seiner Einwohner zu heben. Es ist mir ein Anliegen, die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. Damit meine ich nicht einen weiteren Ausbau der Garde. Nein ich denke an die Schaffung einer Feuerwacht."
Die Chira schiebt den Ärmel ihres rechten Armes zurück und gibt den Blick auf einige verbrannte Fellteile frei: "Der Brand der Destillerie hat mir persönlich vor Augen geführt, wie leicht Esticha dem Erdboden gleichgemacht werden kann, wenn einmal ein richtiges Feuer ausbricht. Chira- und Menschenleben waren in Gefahr und alleine durch die Hilfe einiger unbedeutender Handwerker konnte verhindert werden, dass die Stadt ohne Kommandanten der Garde dasteht. Die bisherige, wie auch die vorige Regierung haben dies leider verabsäumt - wie so manches andere auch."
"Doch der Bürger lebt nicht vom Brot allein. Im Gegensatz zu Meister Charmain sehe ich die Sorgen und Nöte der Künstler für eine ernstzunehmende Herausforderung an. Die Wirtschaft und die Kunst waren immer sehr eng miteinander verflochten. Die größten Mäzene, die Förderer der Kunst, waren seit jeher die Händler, Gastwirte und Wirtschaftstreibenden. Ein jedes Kakreck hat heutzutage ein Dach über dem Kopf. Die, die uns unterhalten und für uns aufspielen, können mit Häuserecken vorlieb nehmen. Ich schlage daher vor, das alte Haus im Stadtteil Nujuyana das im Besitz der Stadt steht als Quartier herzurichten und als Theater den Künstlern zur Verfügung zu stellen. Dabei werde ich mich persönlich für die Finanzierung aus Drittmitteln stark machen."
"Ein weiteres persönliches Anliegen ist der Aufbau eines städtischen Heilhauses, das der Gilde der Heiler überantwortet werden soll, und in das die Bürger mit ihren Leiden kommen können. Rund um die Uhr einen Heiler zur Verfügung zu haben kann sich sonst nur ein Minister leisten. So soll es in Hinkunft aber nicht mehr sein. Finanziert wird das Ganze durch die eigenen Einkünfte der Heiler - die besser ausgelastet sind - da alles an einer zentralen Stelle zusammenläuft, anstatt dass man von einem 'vorrübergehend geschlossenen Heiler' zum nächsten pilgern muss."
Yuna zählt mit ihren Fingern den dritten, vierten, fünften Punkt hinzu.
"Nach meinen gesicherten Informationen verfügt die Regierung über einen Notfallfond, der noch aus den Zeiten des alten Stadtrates stammt. Er ist zu eruieren, wieviel Gold sich darin befindet. Wie es überhaupt notwendig sein wird, die Offenlegung der Verwendung unserer Steuergelder vom Finanzminister halbjährlich zu verlangen. Die Regierung will an ihren Taten gemessen werden - das war einer der häufigst wiederholten Sätze, die die Regentin vor einigen Wochen in ihrer Ansprache immer wieder betont hat. 'Gut', sag ich, 'einverstanden - dann lasst Euch messen. Legt die Bücher offen, sodass es dem Volk gelingt, Euch zu messen.' Das wäre Volksnähe, das wäre eine Möglichkeit unser Vertrauen zu belohnen, das wäre gelebter Fortschritt. Oder hat die Regierung etwas zu verbergen?"
Die Chira merkt noch einen letzten Satz an. "Mein Arm gehört der Gilde, mein Herz gehört Estichà, meine Seele gehört den Göttern."
Yuna steht weiterhin in betont aufrechter Haltung am Podest und hat augenscheinlich geendet.
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