Wohin? (Untermarkt)
Es ist spät am Abend, ja fast schon nächtens, als eine Gestalt im schwarzen Mantel das Kloster der Endrakha verlässt, um den Weg in die Unterstadt anzustreben. Die Hände in den Manteltaschen vergraben und das schwarzgelockte Haupt dem Regen in trotzender Blöße präsentiert, lenkt sie ihre Schritte gewohnheitsmäßig und trödelt nicht auf ihrem Weg ins verschlungene Brückenviertel. Gerade passiert sie den Tempel der Mayeva und hebt beiläufig den Blick auf das regenverschleierte Gewirr aus Brücken, Arkaden und Häuschen empor, die sich terassenartig am Oberfelsen emporschlängeln, da bleibt sie abrupt stehen. Als habe sie in Gedanken versunken, versehentlich einen falschen Weg gewählt, blinzelt sie einen Augenblick lang realisierend, ehe ihr Blick etwas verloren umherschweift. Kurz heben sich ihre Augen in das trübe Grau empor, richtet sich ihr blasses Gesicht zum Himmel aus, sodass die Regentropfen in weichen Perlen auf ihren scharfen Zügen zerspringen, dann reibt sie sich in einer müden Geste die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinder und schließt die Augen, um einen Moment lang einfach nur mitten auf der Straße zu stehen, wie ein Fremdkörper in dieser unkompliziert-friedlichen Nachtkulisse.
3 Atemzüge später kommt wieder Leben in den sehnigen Körper, wendet sich die Endrakhi ruhig um und schreitet die Straße wieder zurück gen Vochà Bicclas, wo sie in die Tiefer einer Seitengasse eintaucht.
Wohin?
Die nächtlichen Straßen sind nicht ganz so leer, treiben sich noch weitere Gestalten auf der Straße herum, mit oder ohne Umhang, mit lauteren oder finsteren Absichten. Aus einigen Kneipen und Spelunken dringt Lärm und Gelächter, laden die beleuchteten Fenster zum Verweilen und Besuchen ein. So begegnen der Endrakhi auf ihrem Weg gut gelaunte oder deprimierte Leute, allein oder zu zweit, lauthals grölend oder leise murrend. "Bis nächstes Mal !" aus einer der Kneipen tritt gerade eine schlanke Gestalt und wirft mit Schwung die Türe zu. Ohne Mantel, die Hände in die Hosentaschen gesteckt, macht sich das Mädel leise vor sich hin trällernd auf den Heimweg. Das Hindernis auf zwei Beinen mitten auf der Straße wird mit Schwung zügig von hinten überholt, sodass der Endrakhi nur das nervende Gesumme im Ohr bleibt, ehe sie auch schon wieder ihre Ruhe hat.
Wohin?
Ob nun mit dem Segen der Ignoranz bestückt, oder nur mit den Gedanken in weiter Ferne, das Gesumme trifft bei der Endrakhi weder auf Reaktion noch auf ein Signal des Wahrnehmens. So wird sie offensichtlich überholt und die Wege der beiden Nachtaktiven trennen sich wieder, ohne dass überhaupt ein Kontakt stattgefunden hat.