Dunkle Lieder in dunklen Nächten (Untermarkt)
Eine hochgewachsene, schlanke Gestalt sitzt im offenen Fenster im ersten Stock des langen Grabens, und lässt ihren Blick durch das Dunkel der Nacht tanzen. Während ein Bein der schemenhaften Gestalt unablässig herabpendelt, erklingen leise Worte einer hellen Stimme, die sich nur halb geflüstert, halb gesungen, mit dem Regen verflechten und in den Nebeln verlieren.
„Zwischen gischtumwölkten Bäumen der Wind als dunkler Orkan
Der Mond als Geistergaleere sah man durch den Nebel fahrn
Der Weg eine Schleife aus Mondlicht, zerschneidet das purpurne Moor
Und der Räuberhauptmann reitet,
reitet, reitet
Der junge Räuber reitet bis zur Gaststätte vor.
Sein Blick ist klar, sein Wuchs stattlich; seine Augen hell und voll Zorn
Sein Amulett Jhoulana, sein Anlass aus Eile gebor'n
Die Schultern waren breit, und die Hände, sie waren weit und warm
Und um ihn herum war ein Funkeln
Die Asnivala funkelt
das Pitan, sieh, es funkelt, wie Nubianden in der Nacht.
Und über die Steine krachend er prescht in den Hof hinein
der gehörte zu dem Wirtshaus, das schon verschlossen war.
Er pfiff eine Weise zum Fenster – und wer tat auf ihm geschwind?
Die schöne Tochter des Wirtes,
Aleyna, die Tochter des Wirtes,
trug ein süßes Geheimnis in ihrer verschwiegenen Brust.
„Noch einmal küss mich, Liebste, ich werd heute jagen geh'n.
Doch ergießt sich das Licht der Soa, wirst Du mich wiedersehen.
Und jagen sie mich auch tückisch und treiben mich durch den Tag,
dann siehst du mich doch im Dunkeln,
Wenn unsere Monde funkeln,
Warte auf mich im Dunkeln, auch Lijan bekäme mich nicht!“
Er kam nicht in der Dämmerung – auch mittags kam er nicht.
Auch nicht am frühen Abend, und nicht in tiefer Nacht.
Aber als der Tag sich neigte, und die Straße in Staub versank
näherten sich Soldaten
tödliche Soldaten
Soldaten mit klarem Auftrag näherten sich der Taverne an.
Dem Wirt gaben sie sich verschwiegen, den Rum nahmen reichlich sie an
Dann knebelten sie seine Tochter, und schleppten sie ans Fenster ran
Zwei knieten ihr zu Füßen – die Armbrüste lauernd gespannt.
So lauerten sie an den Fenstern
Und eine, die weinte am Fenster:
Aleyna sah den Weg vor sich, den er sonst immer nahm.
Sie banden sie so, dass sie gut sah und erlaubten sich so manchen Spaß
Eine Armbrust wurde vor sie gespannt, dass sie brav und schweigsam saß.
„Nun pass gut auf“, und sie lachten.
Sie gedachte des Liebsten Wort:
„dann siehst du mich doch im Dunkeln,
Wenn unsere Monde funkeln,
Warte auf mich im Dunkeln, auch Lijan bekäme mich nicht!“
Sie drehte und wandt ihre Hände, doch die Seile hielten sie gut
Sie wrang und zwang ihre Hände, bis sie feucht warn von Schweiss oder Blut
So warteten sie im Dunkeln, die Stunden warn lang wie ein Jahr
Und nun – zur tiefsten Stunde –
der mitternächtlichen Stunde
Ihr Finger berührt den Haken
der Abzug war nun ihrs.
Tlot-Tlot! Verdammt, hörn sies? Laut der Gallopp erklang
Tlot-Tlot – und sie hörn es nicht, währends ihr in den Ohren rang
Dort hinten im Scheine der Monde, dort auf dem Hügel allein
eilte er heran wie versprochen
versprochen, versprochen
und würde heute geschossen!
Sie stand gerad und still.
Tlot in der diesigen Kühle! Tlot in der schweigenden Nacht!
Näher kam er und näher! Sie hatte ihn hergebracht
Dann weiteten sich ihre Augen – ein letzter Atemzug
dann lässt sie den Haken entgleiten
und handelt in der Not:
Der Schuss zerbirst ihren Körper und warnt ihn mit ihrem Tod.“
gehört und interpretiert
Während die helle Stimme die feuchtschwere Nachtluft würzt und das Trommeln der Regentropfen leise Rhytmen über die Melodie webt, zeigt sich auf der Straße nur das übliche, eilige Huschen nässescheuer Stadtbewohner, die sich zu dieser späten Stunde schnellstmöglich versuchen ins Trockene zu flüchten.
Der Schankraum des Graben ist da sicherlich ein willkommenes Ziel und es erscheint seltsam, dass der Verseschinder sich nicht an der Fülle der Schankbesucher orientiert, sondern sich mit gehörloser Einsamkeit bedient.
Im Schatten einer Hauswand manifestiert sich derweil ein fahles Glühen, ein kleiner, glutroter Punkt, der sich in trägen Bahnen durch die Dunkelheit bewegt. Ein Schweif aus Funken folgt ihm, kurzlebige Irrlichter die munter davonstieben, nur um kurz darauf dem nassen Element zu erliegen. Ein süßlicher Nebel entsteigt der nubiandaartigen Erscheinung und wird vom Wind zerstoben, schafft es nur ein Hauch davon zu der Singenden empor.
Als das Lied verklungen ist, bleibt es einen Moment lang still, dann erklingt jäh eine raue Stimme von unter dem Fenster, dem glühenden Punkt entspringend, der zuvor noch angeregt aufleuchtet und ein blasses Gesicht akzentuiert.
"Hat er den Soldaten wenigstens die Kehle aufgeschlitzt?"
erkundigt sich der anonyme Zuhörer aus der Tiefe heraus.
gehört und interpretiert
Der unerwartete Kommentar verhallt in der Dunkelheit, während die Sängerin langsam am Fensterrahmen herabrutscht, und sich mit dem Rücken auf die Fensterbank legt, derweil die Beine sich längs den Fensterrahmen emporstrecken. Leise seufzt die Sängerin, und schüttelt etwas den Kopf. „Nein, so war es nicht.“, erwidert die leise Stimme nach einer Weile seufzend. „Als er erfuhr, dass seine Liebste sich selbst getötet hatte, um ihn mit dem Krachen zu warnen, verließ ihn sein Geist und die Nebel umgaben ihn. Kochenden Blutes stieg er auf sein Karkech, und stellte sich in einer weiteren Nacht rasend den Soldaten, um von ihnen verhöhnt und kaltblütig abgestochen zu werden. Noch heute halten die Liebenden am alten Wirtshaus bei Vollmond ihre heimlichen Treffen ab, so sagt man zumindest – oder so sagen es die letzten Strophen, die viel zu deprimierend sind, um überhaupt gesungen zu werden.“ Der Kopf der Sängerin legt sich schief, und kühles Mondenlicht bricht sich in den schrägliegenden Augen. „Ich frage mich, wo es sich wohl befindet, dieses Wirtshaus?“
gehört und interpretiert
Ein leises Brummen erklingt aus der Tiefe, begleitet von dem charakteristischen Knarzen von Leder, als die schattig-Lichtpunktdompteurin ihr Gewicht verlagert.
"Tja...das ist Pech." kommentiert sie recht ungerührt. "Offensichtlich war er ein ziemlich nutzloser Räuberhauptmann, wenn er sich so einfach abstechen lässt." die Schulterblätter gegen die Wand gedrückt und ein Bein locker angewinkelt, hat die nächtliche Zuhörerin eine Hand in die Hosentasche geschoben und führt sich mit der Anderen eine Zigarette an die Lippen, welche sie durch einen Zug zum aufglimmen bringt. "Was haben Verliebte davon sich dort zu treffen?"
gehört und interpretiert
"Ich nehme an, sie waren in der Überzahl und so-", kommt die ziemlich lahme Verteidigung des Hauptmannes. "Und er - naja, vielleicht sah er auch keinen Sinn mehr, so ohne sie." Die Augen der Fensterhockerin blinzeln, während ihre Schwanzspitze kurz etwas indigniert durch die Luft fegt. "Naja, nein. Nicht irgendwelche Verliebte treffen sich dort, da habe ich mich falsch ausgedrückt. Die beiden treffen sich dort noch immer - bis in alle Ewigkeit sind sie als Geister an dieses Wirtshaus gebunden, um dort in stillen Nächten zu erscheinen..." Die helle Stimme verklingt erst in einem Raunen, dann räuspert sie sich etwas verlegen. "Hrmh. Naja, zumindest erzählt man sich das, oder die Version von der Legende, die ich kenne." Der Kopf der Chirà dreht sich nun etwas zur Seite, und späht verstohlen zu ihrem Gesprächspartner herüber, als wolle sie seine Identität ausmachen.
Ein weiterer Zuhörer
Obwohl die Abendstunden schon weiter vorangeschritten ist, wird im unteren Geschoß noch ein wenig gearbeitet. Kurz nachdem das Lied begonnen hat, verklingen plötzlich die Geräusche aus der Küche. Das Fenster im Erdgeschoß wird einen Spalt geöffnet und man sieht eine Gestalt dahinter, mit dem Oberkörper am Fensterbrett lehnend, die offenbar dem Lied lauscht. Erst als der Vortrag geendet hat, wird das Fenster zögernd geschlossen und langsam, nun auch etwas leiser als zuvor, die Betriebsamkeit wieder aufgenommen.
gehört und interpretiert
Das raue Grunzen, welches halbherzig amüsiert aus den Schatten empor dringt muss charakterisitisch genug sein, um Aufschluss über die Identität des Musikkritikers zu geben, denn ein Blick in die Tiefe offenbart den hellsichtigen Katzenaugen bloß den Blick auf eine lederne Kapuze, von der der Regen in lotusartigen Bahnen hinabrinnt. "Verliebte Geister. Aha." erklingt es dann weiter, gefolgt von einem Schwall Rauch, welcher in die Luft geblasen wird. "Da sollte jemand einen Exorzisten rufen."
Immer diese Nörgler...
Eine ganze Weile hält nun die Stille Einzug, und ein dumpfes „Hmh...“, ist die einzige Antwort, ehe irgendwann die Stimme der jungen Frau wieder erklingt. „Gefällt Euch nicht, hmh? Kann ja nicht immer alles mit Gerechtigkeit und einem Blutbad ausgehen, tut's in Wirklichkeit ja auch nie, außer vielleicht dieser komische Krieg, aber der ist ja auch vorbei und das Leben geht weiter. Aber gut, in Wirklichkeit gibt’s vermutlich auch nicht groß solche selbstlosen Opfer und die ganze Romantik und so, ne. Das sind alles vielleicht mehr so Ideen wie es sein könnte, oder sollte vielleicht. Oder was weiss ich.“ Nun klingt die kleine Poetin fast ein bisschen patzig. „Naja, aber eins stimmt in dem Lied schon: Um Soldaten und alles was eine Uniform trägt, sollte man vermutlich immer einen großen Bogen machen.“
Immer diese Nörgler...
"In Wirklichkeit..." ein dumpfes Brummen erklingt und mit einem metallenen Klirren drückt sich die nächtliche Herumtreiberin von der Wand ab, um dann einmal den Kopf von einer Seite zur anderen wandern zu lassen und dem Nacken ein geräuschvolles Knacken zu entlocken. "In Wirklichkeit hatte der Räuberhauptmann vermutlich eine Frau an jeder Straßenecke und die dumme, naive Wirtstocher hielt das Gesäusel einer Nacht für einen Liebesschwur, sodass sie sich für jemanden opferte, der garnicht vor hatte jemals zu ihr zurück zu kehren." ein kurzes Schulterzucken der schwarz Bemantelten folgt, dann wirft sie die Zigarette von sich, die mit einem kleinen Funkenschweif durch die Luft rauscht und dann zischend in einer Pfütze verlischt. "Aber dafür seid Ihr Poeten ja da; den Wegesrand mit ein paar Blumen schmücken, damit er einem nicht mehr so steinig vorkommt. Allerdings hätte die Stadtwache wohl eine andere Sichtweise wer in dieser Geschichte die Blumen verdient hat." die Gestalt wirf einen kurzen Blick über die Schulter zum Fenster empor und nun fällt der fahle Schein einer entfernten Straßenlaterne in das scharfkantige Gesicht der endrakhischen Priesterin.
Immer diese Nörgler...
Während die junge Fensterhockerin den düsteren Ausführungen ihres einsamen Kritikers lauscht, verrenkt sie immer wieder den Hals, um vielleicht doch die Identität des fremden Nachtschwärmers zu ergründen. Als dieser sich schließlich zu erkennen gibt, macht die Gestalt im Fenster einen bedenklichen Schwung zur Seite hin, und wäre sicherlich vor Lynelle auf dem Straßenpflaster gelandet, wenn nicht ein geistesgegenwärtiger Ruck ihres Schwanzes und der bemerkenswerte Gleichgewichtssinn ihres Volkes selbiges zu verhindern gewusst hätten. Mit weit aufgerissenen Augen starrt die Bardin die Priesterin an, und es braucht eine Weile, ehe Tiosa antwortet: „Blumen am Wegesrand sind gut – und sie zu zeigen, ist eine gute Aufgabe und hat auch einen Zweck. Aber manchmal geht es auch gar nicht um Blumen, sondern um Weggabelungen und – völlig neue Wege, die niemals gefunden werden, und... alte, die in Vergessenheit geraten, wenn es nicht irgendjemanden gibt, der von ihnen berichtet. Aber ich glaub trotzdem nicht, dass er sich den Stadtwachengardisten gestellt hätte, wenn ihr Tod ihn nicht berührt hätte, das würde einfach keinen Sinn ergeben – wie zynisch auch immer ihr es herumdrehen möchtet.“ Die Bardin blinzelt, und hält sich mit einer Hand am Fensterrahmen fest, leicht vorgeneigt Lynelles Gesicht musternd, während das Mondlicht ihre Gestalt nur schemenhaft umreisst, und sich kühl in den großen, noch immer etwas erschrockenen Katzenaugen bündelt.
Immer diese Nörgler...
"Ich habe nichts gegen Blumen." wird die dunkle Stimme vom Wind zu Tiosa empor getragen. Die Endrakhi wendet sich nun gänzlich um, schiebt die Hände in die Hosentaschen und schaut durch den Vorhang aus Regen zu der passionierten Musikerin empor. "Mir erscheint nur vieles sinnvoller. Salatköpfe zum Beispiel." die androgyne Kriegerin tippt sich kurz mit der Hand an die Hutkrempe. "Schönen Abend noch." wünscht sie unbeteiligt und wendet sich ab, um diese verstörende Äußerung einfach in der kühlen Nachtluft hängen zu lassen.
Estichà - ein geheimnisvolles Biotop
Die hellen Augen blinzeln, während Tiosa verstört der Priesterin nachblickt, um nach einer Weile energisch den Kopf zu schütteln. „Salatköpfe?!“; ruft sie ihr laut hinterher, und lauscht dem Prasseln des Regens noch etwas länger. Erst nach einer Weile verlässt die Chirà ihren Fensterplatz, und schließt die Läden wieder fest von innen.