Yasmsbaum (Untermarkt)
Bereits vor wenigen Tagen konnte man beobachten, dass ein kleines Fuhrwerk das yedeitische Lager vor den Stadtmauern verläßt und in Richtung Osten aufbrach. Begleitet von einigen starken Männern, war das Ziel für Außenstehende sicherlich nicht erkennbar. Heute jedoch kehrt das Fuhrwerk wieder zurück, beladen mit einem großen Yasmsbaum, der ordentlich befestigt auf der Ablagefläche des Fuhrwerks liegt. Schon beim Näherkommen wird der Wagen von Kindern umringt, die bereits jetzt mit strahlenden Augen das Prachtstück begutachten und auf die Fahrer einreden.
Kurz darauf hat der Wagen dann auch das yedeitische Lager erreicht, wo er den provisorischen Versammlungsplatz ansteuert. Kaum losgebunden, eilen weitere Kinder zum Platz, galt es doch den Baum mit bunten Bändern, glitzernden kleinen Glaschscherben oder auch Metallstücke, vorzugsweise Kupfer, zu schmücken. Mit dem Baumschmuck verbunden sind die unterschiedlichsten Wünsche, der ein oder andere, so wußten die Kinder, würde sich erfüllen und am Abend des 24. Derrakhans als ein materielles Aquivalent unter dem heimischen Yasms-Zweig liegen.
Es vergeht noch eine ganze Weile bis der Baum letztlich aufgestellt und fest gesichert auf dem Platz steht und in voller, bunter Farbenpracht erstrahlt. Doch nicht nur die Kinder sind es die den Baum bewundern, auch viele der Erwachsenen kommen nicht umhin einen kleinen Moment inne zu halten, den gedankenverlorenen Blick auf den Baum zu richten. Ein kleines Stückchen heimischen Brauches in dem fremden Land, möge doch die heilige Hester auch ihre Wünsche für die Zukunft erfüllen.
Fest der heiligen Hester (24. Derrakhan)
Was den Neukultisten das Fest der Lajeya, ist den Yedeiten das Fest der heiligen Hester. Die Vorbereitungen, in dem yedeitischem Lager, hatten bereits von einigen Tagen begonnen als der große Baum aufgestellt wurde. Seither hat er noch einiges an Baumschmuck erhalten, wurde noch der ein oder andere Wunsch geäußert. Doch das geschäftige Treiben der vergangenen Tage kommt heute langsam zur Ruhe, stellen die Handwerker ihre Arbeiten ein, packt man an den Verkaufsständen früher als sonst die Waren zusammen um den Heimweg anzutreten, während innerhalb der Stadtmauer Estichas noch immer reges Handeln und Werkeln herrscht. Im Gegensatz zu dem Fest der Neukultisten, beginnt für die Yedeiten das Fest bereits einen Tag früher. Während in Esticha das Leben heute noch mehr oder weniger den gewohnten Gang läuft, endet bei den Yedeiten dieser Tag früher, galt es doch das Heim für den Abend herzurichten, ein Mal vorzubereiten um im Kreise der Familie einen besinnliches Fest zu beginnen. Als sich der Tag dem Ende neigt, ist auch kaum mehr jemand unterwegs in den kleinen Gasses zwischen den einfachen Holzhütten.
Die Stille im Lager wird jedoch plötzlich von einem tiefem Gongschlag durchbrochen, der nachhallt und dann erneut ertönt. Einige Male im Abstand weniger Minuten, wird dieses wiederholt. Kaum sind die ersten Schläge verklungen, kommt auch wieder Leben in die yedeitische Enklave, verlassen die Bewohner ihre Häuser in andächtiger Ruhe. Im Zentrum des Lagers, dort wo das religiöse Steingebäude errichtet wurde, versammeln sich die Bewohner des Lagers. Zunehmend füllt sich der Platz, müssen folgende bereits auf die angrenzenden Gassen ausweichen, und doch wirkt es als würde ein jeder der hier lebt zu eben jenem Platz streben um dem zu folgen was nun kommen würde. Kinder werden auf die Schultern der Väter gesetzt damit sie einen besseren Blick haben, für ältere Leute werden am Rande gar Stühle gestellt.
Ein letzter Gong ertönt, länger als die ersten und tiefer, dann kehrt Ruhe ein. Selbst das Gemurmel der Menge verstummt auf das Zeichen hin. Gleich darauf verlassen dann auch einige Personen das heilige Gebäude. Eine handvoll Novizen des yedeitischen Hostinos sind es, die auf den Platz treten. Ihnen voran geht eine junge Frau von Anfang zwanzig mit kurzem schwarzen Haar das nur mühsam gebändigt wurde. Auf der rechten Brustseite der reinweissen Robe, prangt, als Stickerei, die blaue Pyramide mit gefüllter goldener Kugel und einem goldenem Balken auf der linken Seite, was sie als Priesterin der zweiten Weihe erkenntlich macht. Vor dem Gebäude wurde ein kleiner Altar errichtet auf dem ein geschmückter Yasmszweig liegt, daneben steht einer Kerze die jedoch noch nicht entzündet ist. Auch die Novizen tragen noch nicht entzündete Kerzen in ihren Händen. Während die Priesterin zum Altar tritt, verteilen sich die Novizen an den Seiten.
"Es ist nun über ein Jahr vergangen," beginnt die Priesterin unvermittelt mit lauter Stimme so daß sie auch in den hinteren Reihen verstanden werden kann. "seit wir unsere Heimat verlassen mußten. Als wir alles was wir uns aufgebaut hatten, zurück ließen und in die Fremde flohen, nicht wissend was kommen würde oder ob wir je wieder heimkehren können. Monate voller Ungewissheit, Angst, Trauer und Wut, aber auch neuerlichen Gefahren denen wir hier ausgesetzt waren. Viele von uns haben Verluste zu beklagen, Väter, Brüder und Söhne, gleichwohl wie Mütter, Schwestern und Töchter. Ein lähmendes Gefühl der Leere haben sie in unseren Herzen hinterlassen, wie auch die Flucht eine Leere hinterließ. Und doch stehen wir hier, vereint, begehen das Fest wie wir es immer taten und immer tun werden, wohnt doch in unserem Herzen die Gewissheit nicht allein zu sein. Denn jetzt in diesem Moment, stehen alle unsere Brüder und Schwestern, gleich wo sie sich befinden, beisammen, lauschen den Worten der Priester, wohnen der Messe bei und werden den Abend verleben wie wir es seit Generationen tun. In diesem Augenblick trennen uns keine Grenzen, Flüsse oder Feinde, wir sind eins denn wir sind alle SEINE Kinder, und vereint begehen wir die Feste, vereint verfallen wir in Gebete, vereint betrauern wir jene die nicht mehr unter uns weilen, denn wir sind eine Familie. Es ist nicht das Land das uns bindet oder uns ausmacht, es ist unser Glaube und das Wissen das unser Vater über uns wacht."
"Wie Semos einst mit seinen Getreuen floh, so mußten auch wir fliehen. Und so wie sie ihren Mut und ihren unerschütterlichen Glauben behielten, so werden auch wir ihn nicht verlieren. So laßt uns SEINE Worte sprechen wie sie überliefert sind, wie sie Semos von IHM vernahm und an uns weitertrug." Nur eine kurze Pause tritt nach diesen Worten ein, dann erhebt die junge Priesterin auch bereits wieder ihre Stimme.
Fest der heiligen Hester (24. Derrakhan) Teil2
"Ein Volk sollt ihr sein, verbunden durch den Glauben an mich, dem Einzigen, denn ich bin euer Vater und ihr meine Kinder. Löst euch der Fesseln, die Tiere euch auferlegt haben. Denn ihr seid einzig in eurer Art, kein Lebewesen das dem euren gleicht.
Ich bin Hostinos, ich bin einzig. Keinen anderen neben mir soll es geben, denn ich bin euer Vater, euer Erschaffer und ihr meine Kinder, - und wir sind einzig.
Kein Ebenbild soll von mir erschaffen werden, denn ich bin alles. Nicht gebunden an eine Form, nicht gebunden an ein Geschlecht, nicht gebunden an eine Farbe, - denn ich bin einzig.
Nicht vermischen sollt ihr euer Blut mit den anderen Arten, denn es sind nicht meine Kinder. Unrein ist ihr Blut und unrein wäre die Vermisschung, - den ihr seid einzig.
Ich bin Hostinos, euer Vater, gerecht und wohlwollend. Doch Strafen werde ich jene die sich abwenden, - denn ich bin einzig.
Verboten soll euch sein das Fleisch unreiner Tiere zu verzehren. Geschuppte und gefiederte Tiere sind unrein. Einzig in größter Not soll es gestattet sein, denn sie sind unrein, ihr seid rein, - und ihr seid einzig.
Gefühle liegen in eurer Natur wie das Bedürfnis des Essen und Trinkens. Teilt es in der Familie, denn wir sind ein Volk. Doch hütet euch vor Verlockung, wie andere Arten ihnen in lasterhaftem Übermaß nachgehen. Denn das widerspricht meiner Ordnung - und ich bin einzig.
Meinen Namen sollt ihr verbreiten und mein Wort, denn ich bin euer Vater und ihr meine Kinder und - wir sind einzig."
Die Stimme der Priesterin ist nun jedoch nichtmehr die einzige, spricht doch ein jeder der Anwesenden den letzten Teil der Passagen nach, ein vielstimmiger Chor zur Bekräftigung der Worte. Als das letzte Wort gesprochen ist, kehrt jedoch wieder ein kleiner Moment der Ruhe ein.
"Wir begehen heute das Fest der heiligen Hester, der Mutter des Semos, die mit ihrer Güte und Hilfsbereitschaft, vielen ein Stück Hoffnung und neuen Mut gegeben hat. Unermüdlich war ihr Bestreben Gutes zu tun, den Menschen zu helfen wo es in ihrer Macht stand. Ein jeder der an ihre Türe klopfte war willkommen, teilte Hester mit ihm das Essen, kümmerte sich um Verletzungen, sprach Mut zu oder gab ihm ein Obdach in der höchsten Not. Sie selber besaß nicht viel, doch das was sie besaß teilte sie mit jenen die noch weniger hatten. An einer ewig brennenden Kerze in ihrem Fenster, erkannten notleidende wo sie Hilfe erhalten würden, wo man ihnen beistand. So wurde die Kerze das Symbol für Hester und ihrer Hilfsbereitschaf. In ihrem Gedenken begehen wir dieses Fest, und wie einst Hester, so teilen auch wir und ehren dabei ihr Andenken."
"Eine kleine Flamme der Hoffnung, vertreibt das Licht die Dunkelheit, wärmt der Schein das Herz, weist der Not den Weg. So wird die Kerze leuchten das ein jeder sie sehen kann, von jetzt bis zum Ende des Festes." Während die junge Frau spricht, entzündet sie die Kerze auf dem Altar. Als die Worte verklungen sind, stimmen die Versammelten ein ruhiges Lied an in dem sie die Heilige preisen und ihre Taten besingen. Der Reihe nach treten nun auch die Novizen vor, entzündet einer nach dem anderen seine Kerze an jener auf dem Altar um danach wieder zu ihren Plätzen zurück zu gehen. Das Lied hält noch weiter an als sich die ersten Gläubigen von ihrem Platz lösen um nun ihrerseits geordnet zu den Novizen zu schreiten wo auch sie Kerzen entzünden. Gassen werden geschaffen damit sich jene deren Kerze bereits brennt, zurückziehen können um den Nachrückenden den nötigen Raum zu schaffen. Es ist nicht jede Person die eine Kerze in Händen hält, vielmehr tritt immer eine Gruppe vor um ihre Kerze zu entzünden, eine Familie, wie es den Anschein hat. Nach und nach erhellt sich der Platz, taucht ihn in ein Lichtermeer aus kleinen Flammen, die sich vom Platz aus in die Gassen ergießen, wo sie einer Prozession gleich dem Heim entgegen streben.
Noch lange hält der Gesang an, bis auch die letzte Familie das Licht nach Hause getragen hat, wo die Kerzen ihren Platz im Fenster finden, gut sichtbar für jeden der an der Hütte vorbeiläuft. Der Tradition nach würde man die Kerze während der Festtage nicht verlöschen lassen, wurde die Flamme gehütet, eine neue Kerze daran entzündet um die alte auszuwechseln. Niemand würde diese Tage allein verbringen müssen, selbst jene die keine Familie haben, finden Geborgenheit im warmen Heim einer anderen Familie, die sie aufnehmen um mit ihnen das zu teilen was sie selber nichtmehr besitzen.