Durch die Nacht (Untermarkt)
Dunkelheit umhüllt die Gassen Estichàs wie ein Schleier, weckt in den fleißigen Bewohnern die schläfrige Zuversicht auf eine erholsame Nacht und mit Vogumus Wohlwollen auch auf einen erquickenden Traumsegen.
Doch wo die Einen sich zur Ruhe betten, erwachen die Anderen zu einem nächtlichen Tanz mit den Schatten. So auch eine Gestalt, die mit langen, wiegenden Schritten durch die Nacht schreitet.
Ein bodenlanges, hochgeschlossenes Kleid umschmiegt den überschlanken Köper, fließt so kühl und zart um die bescheidene Weiblichkeit, als bestünde es aus nachtschwarzem Wasser. Reinste, edelste Seide ist es, die bei jeder anmutigen Bewegung um die Haut der Frau streicht und ihr die Erscheinung einer Adeligen verleiht. Wer sonst hat schon das Geld für solch edle Gewänder? Doch wirkt das ganze nicht protzig, eher dezent und gerade in seiner Schlichtheit und der Art wie es verhüllt atemberaubend schön und geheimnisvoll. Ein hoher, seitlicher Schlitz entblößt bei jedem Schritt etwas blasse Haut und die metallene Klinge eines Dolches, während man bei genauerem Hinsehen erkennen kann, dass die Frau barfuß unterwegs ist. Um ihre schmale Hüfte schmiegt sich ein zierlicher Silbergürtel, der immer wieder im zarten Schein der Öllampen aufblitzt und die tiefe Schwärze des Kleides kontrastiert. Die Glieder des Schmuckstücks bestehen aus den Nachbildungen von kleinen Weinblättern und ihren zarten, verschlungenen Trieben - die Schnalle ist in der feinen Kunstarbeit so verborgen, dass es so wirkt als ranke ein silbernes Weingewächs um ihre Hüfte. Auch dies ein wahrer Schatz, ein unbezahlbares Kunstwerk würdig eines Herrschers.
Doch die Identität der fremden Schönheit bleibt unter Vesanas Schleier verborgen, trägt sie doch einen schwarzen Schal um Kopf und Gesicht geschlungen, der nur einen schmalen Schlitz für die Augen frei lässt. Die Enden des Schals wehen leicht hinter ihr her, und vermitteln nun endgültig den Eindruck einer mitternächtlichen Erscheinung, ein Traumgebilde, das sich im nächsten Gassennebel in Luft auflösen würde.
Doch sie schreitet immer weiter vorwärts, zielstrebig in ihrem Gang und so selbstsicher als gehöre ihr die Nacht und sie der Dunkelheit.