Ein mradoshanisches Märchen (Untermarkt)
Eine Gestalt geht über den Marktplatz. Der lange Mantel ist aus verschmutztem Leinen. Gebückt bewegt sich die rundliche Figur durch den Mittagstrubel. Schließlich setzt sie sich etwas abseits vor ein Haus. Schon bald bleiben ein paar Straßenkinder vor ihr stehen. Ihre Stimme ist die einer alten Frau, aber sie spricht freundlich und lädt die Kinder ein, bei ihr zu bleiben, denn sie wird ihnen eine Geschichte erzählen...
"Es war einmal vor langer Zeit ein junges Mädchen namens Jhouyona. Sie war das liebste Töchterlein eines reichen Mannes aus Ashrabad. Jeden Tag machte er ihr ein neues Geschenk, denn sie war sein Augenstern und das Schönste, das er besaß. Doch war das Mädchen aber recht faul und ungeduldig. Stets verlangte es nach noch größeren, noch schöneren Geschenken. Der Vater in seiner Güte bemühte sich nach Kräften, ihr die außergewöhnlichsten Präsente zu bieten, doch war es nie das, was sie sich wirklich wünschte. Nichts konnte ihr Verlangen stillen, und so war sie jeden Tag aufs Neue unzufrieden."
Mehr Kinder versammeln sich vor der alten Geschichtenerzählerin, setzen sich auf die Straße und hören gebannt zu.
"Über die Jahre wuchs Jhouyona zu einer schönen jungen Dame heran. Ihr langes Haar war schwarz wie Vesanas Schleier, ihre Lippen waren blutrot wie die von Jhoulana selbst und ihre Augen funkelten wie der Metchà im Abendrot. Der Vater verehrte sie umso mehr, da sie das schöne Ebenbild ihrer verstorbenen Mutter geworden war. Nun erregte das Mädchen nicht nur seinen Wohlgefallen, sondern wohl auch den vieler feiner Herren in der Stadt. Und sie kamen und warben um Jhouyona. Sie sangen Lieder vor ihrem Fenster und flochten ihr feinste Gestecke aus Lantis. Sie überschütteten Jhouyona mit Geschenken, doch nichts vermochte ihr Herz zu erfreuen. Sie besaß so vieles und kannte doch das Glück des Lebens nicht. Ihr Vater aber erkannte dies und beschloss, ihr zum Glücke zu verhelfen. Die wahre Liebe war das Geschenk, das er ihr zugedachte und für sie zu finden suchte. Und so zog er aus, um jemanden zu finden, der Jhouyonas Herz zu erfreuen vermochte. Er reiste auf dem großen Strom und kam in viele Städte, doch nirgends fand er, wonach er suchte. Unverrichteter Dinge kehrte er heim zu seiner Tochter, die zu voller Schönheit erblüht war. Er wollte nicht ertragen, ihr Gesicht in Enttäuschung zu sehen, da unternahm er einen letzten Versuch. All jenen, die sich um die Gunst Jhouyonas bemühten, gab er ein Rätsel auf, damit sie bewiesen, wer von ihnen der Richtige sei. Er versammelte sie alle und trug ihnen jenen alten Vers vor, den er von seinem Großvater gehört hatte:
„Ich bin weiß wie Kreide, leicht wie Flaum, bin weich wie Seide und feucht wie Schaum.“
Da staunten die Verehrer sehr, denn von diesem Sprüchlein hatten sie nie zuvor gehört. Sie erbaten sich zwei Tage Bedenkzeit. Es war nicht lang, bis die ganze Stadt davon erfuhr, dass ein reicher Mann sein liebstes Töchterlein demjenigen zum Tanze gäbe, der ein wahnwitziges Rätsel zu lösen vermochte. Bald versuchte ein jeder, die Aufgabe zu bestehen, die augenscheinlich unlösbar war. Man fragte die weisen Alten, doch sie wussten keinen Rat. Man ließ sich kluge Bücher bringen, doch in ihnen war keine Antwort zu finden. Man rang mit Vecara, doch sie wusste ihr Geheimnis mit Kraft zu verteidigen."
Es wird lauter unter den Kindern, die auch versuchen, das Rätsel zu lösen. Die Alte weist sie nicht zurecht, sondern fährt mit ihrer Geschichte fort.
"Als am Morgen des dritten Tages die halbe Stadt vor dem Haus des Vaters versammelt war, da trat er vor die Menge und sprach:
„Ich gab euch ein Rätsel, für das zu lösen ihr zwei Tage erbatet. Die Zeit ist um, und so stehe ich hier zu meinem Wort und sage: Wer immer die Antwort kennt auf den Vers, soll die Hand meiner Tochter zum ewigen Tanze und Bund des Lebens erhalten.“
Da ging ein Raunen durch die Menge, denn der Preis war kolossal. Das Mädchen Jhouyona stand ihrem Vater zur Seite, in gespannter Erwartung dessen, was geschehen würde. Da wurde es turbulent, denn die Verehrer überschlugen sich in ihren Rufen. Was immer sie als beste Antwort gefunden hatten, schrieen sie dem Vater entgegen. Er hörte aufmerksam zu und gewahrte doch, dass niemand seine Prüfungen hatte bestehen können. Doch wollte er seine geliebte Jhouyona nur demjenigen geben, der stark genug war, es auch mit Vecara aufzunehmen. So aber waren seine Bemühungen vergebens, und er schickte die Leute fort. Als sich die Menge aber auflöste, da blieb ein Mann stehen. Er war von großer Statur und trug ein langes, graues Gewand aus feinem Stoff, das sein Gesicht unter einer Kapuze verbarg. Und als die Hälfte der Leute bereits gegangen war, da erhob er seine Stimme und sagte:"
Die Alte hält inne und hustet. Ein dramatischer Moment. Alle Kinder starren sie gebannt an. Wie geht die Geschichte nun weiter?
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- Ein mradoshanisches Märchen - Fabula Docet, 09.05.2009, 15:38 (Untermarkt)
- Ein mradoshanisches Märchen, Teil 2 - Fabula Docet, 09.05.2009, 15:41