Die Nacht des blauen Mondes( 29.Omajas Nachtrag)
Tagelang dauerten die Vorbereitungen in der Stadt und ganz explizit im Tempel. Wie jedes Jahr freuen sich tausende Anhänger der nächtlichen Göttin auf den Tag an dem das Fest zu ihren höchsten Ehren begangen werden soll. An vielen Türen der Bewohner Estichas prangen die seltsamen Zeichen der Geisterbeschwörer, die vor Unheil und bösen Träumen schützen sollen. Schon Tage zuvor erfreute sich Gebäck in den seltsamsten und gruseligsten Formen der größten Beliebtheit. Auch Masken und allerhand Amulette wurden in großen Mengen, zur Freude der Händler, verkauft und viele Leute schmücken sich mit solchen Zeichen der göttlichen Macht. Die Hoffnung, dass Vesana sich in diesem Jahr besonders um einen kümmern wird, keimt in jedem. Die Nächte scheinen auf eine Weise dunkler und doch sind sie viel mehr mit Leben angefüllt als zu einer anderen Jahreszeit.
Über Tage hinweg hat sich die festliche Atmosphäre in Esticha gesteigert und ein jeder fiebert offen oder insgeheim auf das eine, das große Ereignis hin. Und dann ist es soweit. Die Nacht des blauen Mondes rückt heran.
Es ist die Nacht des 29. Omajas als vom mystischen Gebäude des Vesanatempels in der Tempelstadt ausgehend seltsame Geräusche durch die Straßen klingen.
Zunächst scheint es wie ein Singsang und dann wieder doch nur wie das Heulen des Windes, der sich in allerhand Nischen verfängt und so dieses Geräusch verursacht.
Ein Laut, wie nicht von dieser Welt, schwillt an und klingt wieder ab, lockt und ruft und doch verursacht er Schauer bei denen die ihn vernehmen. Eine sanfte, wohlige Gänsehaut, die von Unheimlichem und Unbekannten spricht.
Über Jhana und Jhana zieht sich dies und raubt wohl manchem Bewohner der in der Nähe des Tempels den Schlaf. Andern Orts ist es nicht mehr als ein Hauch, der einen wohl sanft in den Schlaf wiegen kann.
Erst zur Stunde der Vesana herrscht von einem Moment auf den anderen Totenstille.
Viele Bewohner hat es bereits Stunden zuvor auf die Straßen getrieben um sich die Zeit, in Erwartung der alljährlichen Eröffnungsprozession, zu vertreiben und dennoch war das Geräusch, trotz Lärm, Gelächter und Gaukeleien allgegenwärtig.
Doch jetzt, jetzt ist da nichts mehr und die Menge die sich unter Fackelschein vor dem Vesanatempel eingefunden hat, verstummt in ehrfurchtsvoller Andacht. Man erwartet in Masken gehüllt, mit Zeichen der Göttin und ihrer Töchter auf der Stirn und den Händen, die Eröffnung des Festes durch die Priesterschaft und doch, es geschieht nichts.
Nach einigen Minuten endlich geht ein Laut des Erstaunens durch die Menge.
Die obersten Fenster des Tempels wurden unbeobachtet, ungesehen geöffnet und über die Menge ergießt sich, getragen vom Wind ein Regen von glänzenden, kleinen Perlen, die so leicht sind wie Kirschblüten, dass sie nicht sofort zur Erde fallen, sondern einen Moment in der Luft verharren und dann langsam hinabsinken, sich auf Kleidung und Haar festsetzen und die Menge im Fackelschein erglitzern lassen.
Unter diesem Regen öffnet sich das Haupttor des Tempels und führt die priesterliche Gruppe hinein in die Menge. Hunderte von Augenpaaren richten sich auf die verhüllten Priester. Wahrlich ein Anblick, wie ihn nur die Diener Vesanas bieten können.
Allesamt sind sie in dunkelblauen Stoff gehüllt, so fließend wie Wasser und doch so schwer wie die Dunkelheit der Nacht auf einer ängstlichen Seele.
Kein bekanntes Gesicht kann man erblicken, nichts sieht mal als die immergleichen Masken aus blauschimmerndem Material. Gestalten, so scheint es, wie sie einem nur im Traum erscheinen können und allesamt, sind sie still als gelte es ein Schweigegelübde zu halten.
Spalier wird gebildet um die Priester ihres Weges ziehen zu lassen und man schließt sich an ihnen zu folgen, denn in dieser Nacht soll die Stadt gesegnet werden, auf das jedes Haus mit wohligen Träumen gesegnet sei.
Man zieht am Rathaus vorbei zum Oberen, dann über den Unteren Markt bis hin zum Südtor.
Die Priesterprozessionen, es müssen mindestens 20 Gestalten sein, schreitet voran und noch immer spricht keiner von ihnen ein Wort. Doch die Menge schweigt nicht und obwohl man Respekt hat schwillt das leise Flüstern Einzelner zu einem Wispern an, dass von tausend Stimmen kommen mag. Erst am Südtor ändert sich etwas an der Aufteilung der priesterlichen Gruppen und eine laute, doch weltfremde Glocke wird von Hand geschlagen.
Dem Licht der Fackeln gesellt sich ein seltsames, kaltes, blaues Licht hinzu, dass in Glaskugeln in den Händen der Priester erglimmt. Niemand weiß wie es genährt wird oder wie sie es entflammt haben, denn von einem Moment auf den anderen, war es da.
Und nichts weiter als die Namen der Göttin und ihrer Kinder dringt blechern, irgendwie kalt und stimmlos hinter den Masken hervor.
„ Vesana, Vayuna,Viya, Vathama, Vogumu, Vijha, Vecara, Vaomu”
Bei jeder neuen Namensnennung schwillt der Glanz des kalten Lichtes an, nur um dann mit dem Ausklang der letzten Silbe wieder zu erlöschen.
Die Prozession wendet sich um und in gleicher Weise und einer wispernden, staunenden Menge, in der selbst die Gaukler innehalten mit ihren Kunststücken, zieht man ins Hafenviertel, man zieht wo sich das Spektakel wiederholt. Doch auch hier wendet man wieder und macht sich auf dem Weg zum Osttor. Wieder erklingen die Name und wieder erglimmt das Licht. Und schließlich führt der Weg all jene deren innigster Wunsch es ist Vesana nahe zu sein zurück zum Tempel.
Noch immer schweigend verschwinden die Masken darin, gefolgt von Hunderten Bürgern, denn diese Nacht gehört Vesana.