Sturm
Das Unwetter verteilt die Trümmer von zahllosen Gebäuden in ganz Estichà, die Unterstadt versinkt im Abwasser, Unrat treibt zwischen den übelriechenden Exkrementen der übergelaufenen Latrinen, während der Untermarkt einem Schlachtfeld gleicht, übersäht mit Schutt und Müll, genau wie alle Strassen der Stadt. Die Tempelglocke läutet unentwegt, doch nicht die Priester bringen das schweren Geläut zum klingen, sondern Sanikas selbst versetzt es in Schwingung. Mit dem Windesheulen, ächzenden Dächern und krachenden Hölzern spielen die Glocken eine unheimliche Melodie des Todes.
Auf einmal verändert der Sturm seinen Charakter. Begleitet von einem dumpfen
Heulen, dem Ton einer leeren Flasche gleichend, über dessen Rand man
hinwegbläst, verwandelt sich das Blasen in einen Sog, der mit ungeheurer
Kraft und Kälte mit gewaltigen Wassermassen nach Osten führt. Bäume im nahen
Urwald knicken, Fensterläden werden aufgerissen und verschwinden im Dunkeln
der angebrochenen Nacht. Dutzende, dann Hunderte von Dachschindeln verlassen
ihren Platz, werden weggeschleudert und zerschellen an den Fronten der höheren Häuser, werfen dort Scheiben ein oder zertrümmern dünne Fensterläden. Schmiedeeiserne Schilder lösen sich von ihren in die Straßen ragenden Gestellen und schleifen über den von einem dicken Wasserfilm bedeckten Boden, spitze Gegenstände und Splitter rasen mit hellem Pfeifen wie Speere durch die Luft und dringen in Türen und Fensterläden ein. Egal, von welcher Religion, von welcher Überzeugung, von welcher Rasse ein Bewohner der Stadt ist, in diesem Augenblick ruht er auf seinen Knien und betet mit voller Inbrunst zu seinem Gott oder seiner Göttin zu allem, was ihm heilig ist.
So geht es noch einige Tage...und dann...dann ist es plötzlich vorbei. Tage des Sturmestosen sind vergangen. Der Frühjahrssturm hat wie in jedem Jahr gewütet gleich einer reißenden Bestie und ebenso willkürlich. In dieser kurzen Zeit hat Estichà viel von seinem Zauber eingebüßt. Die Strassen sind voller Schutt und Dreck, allerorts stinkt es nach Kloake. An kaum einem Haus hat es keine Schäden gegeben. Noch immer zerrt der Wind rau an den Kleidern, die Luft ist kühl, beinahe kalt und peitschender Regen prasselt ununterbrochen herab. Der zerwühlte Metchà ist in dicke Nebelschwaden gehüllt, die ebenso zwischen den Bäumen des Dschungels hängen. Der Himmel ist grau und verhangen. An eine gefahrlose Schifffahrt wird jedoch für Tage noch nicht zu denken sein.
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